Neuromarketing hier. Neuromarketing da. Können Sie es auch schon nicht mehr hören? Dieses Buzzword der Marketers. Geht es Ihnen bereits auf die Nerven? Oder triggert es Sie noch: „Hey, du! Ja, du: Haste mal’n Neuro?” Neuromarketing ist eine interdisziplinäre Forschungsrichtung zwischen Marketing und Neuroökonomie.
Ihr Ziel ist – vereinfacht gesagt – zu klären, was uns dazu bringt, etwas eher zu kaufen oder eher nicht zu kaufen.
Neuromarketing ist ein Teilgebiet der Marktforschung oder auch – wie Anhänger meinen – ihre Speerspitze. Denken im herkömmlichen Sinne spielt bei der Kaufentscheidung eine untergeordnete Rolle – zumindest finden sich sehr oft im Marketing Experten, die genau dieser Meinung sind.
Nicht die bewussten Entscheidungen sind es, die uns reizen, eine Coca-Cola zu wählen, sondern die unbewussten. Sonst hätten wir – wie Blindtests ja immer wieder bestätigen – doch lieber eine Pepsi getrunken.
Oder Wasser. Oder noch lieber einen guten Wein. Ein bisschen moussierend hätte er sein dürfen. Ein Riesling vielleicht.
Wie hat das damals Bill Clinton gesagt? „It’s the economy, stupid”. Ungefähr so könnte man es allen Vertretern eines „gesunden Menschenverstandes“ entgegnen, die noch an „rationale Kaufentscheidungen” glauben.
„Wie? Dieser Porsche hat 450 PS? Ich habe immer nach einem Porsche mit 450 PS gesucht, weil >rationaler Grund 1<, >rationaler Grund 2< und schließlich >rationaler Grund 3<”. Und nun müssen wir erfahren, dass >rationaler Grund 1 bis 3< gar nicht relevant ist, weil wir einfach auf einen Porsche abfahren, ganz egal, wie viel PS unter seiner Motorhaube wummern. Immer schon.
Mit Erstaunen stellen wir fest, dass er nicht dazu geeignet ist, unsere fünfköpfige Familie in den Urlaub und wieder zurückzutransportieren. Wir können ihn nur sehr schlecht bei unserem anstehenden Umzug einsetzen. Er ist tatsächlich kein Kombi. Und seine Finanzierungsrate deckt sich auch nur begrenzt mit unserem Gehaltszettel.
Aber – und das ist ein unschlagbares Argument – er ist ein 911er, er ist rot und er bringt die Haare unserer Geliebten so fantastisch zur Geltung, wenn wir gemeinsam bei offenem Verdeck in den Sonnenuntergang brausen (die winkende Familie im Rückspiegel).
Und schwupps haben wir ihn gekauft. Und das Neuromarketing hat genau das prognostiziert? Und das Neuromarketing kann dies auch für jedes andere Produkt prognostizieren? Für jedes neue Produkt, das auf dem Markt eingeführt wird? Sicher nicht.
Auch wenn bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie konstatieren können, dass Kleinwagen und Sportwagen andere Areale im Gehirn eines Mannes ansprechen, lässt das Ergebnis doch keine Schlüsse darauf zu, ob es nicht doch eher der Testarossa war, der uns noch mehr ansprach als der oben genannte Porsche.
Das kann aber für den Finanzier und Auftraggeber entscheidend sein, da im Neuromarketing Studie um Studie echtes, wahres Geld kostet – also nicht für jeden Kunden, nicht für jeden Auftraggeber erschwinglich ist.
Eye Tracking mag etwas günstiger sein, aber die Ergebnisse sind auch nicht viel aussagefähiger, nur anders geartet. Da weiß der Kommunizierende eben eher, ob er das Logo nun oben rechts positionieren soll statt unten links und ob der potenzielle Kunde auf den >Jetzt-kaufen<-Button reagiert oder nicht.
Wozu dient es dann, wenn im Neuromarketing Maßnahmen zum Einsatz kommen, die das nicht zu leisten vermögen? Das Spannende am Neuromarketing ist die Frage, ob Reaktionen auf Werbung, auf Kommunikation, auf Standbild und Bewegtbild überhaupt messbar sind.
Wie reagieren wir auf bestimmte Reize? Und reagieren wir auf bestimmte Signale besser? Und können wir das für die Markenkommunikation nutzen? Diese Fragen lassen sich durchaus mit Ja beantworten.
Ja, wir können durchaus feststellen, dass bestimmte Werbeformen das Gehirn des Kunden eher ansprechen als andere. Ja, es stimmt, dass bestimmte TV-Spots auf Konsumenten besser wirken als andere.
Neuromarketing geht all diesen Fragen nach und findet durchaus wissenschaftlich relevante und gesicherte Antworten, die auch praktische Erkenntnisse ermöglichen – und sei es nur, warum die ikonische Wirkung von Coca-Cola bei älteren Konsumenten präsenter ist als bei jüngeren Konsumenten, die einfach mit der PET-Flasche nicht mehr dieselben Emotionen verbinden wie die Älteren, die noch vorrangig die Glasflaschen in den Händen hielten (wovon Pepsi dennoch nicht unmittelbar profitiert).
Warum ist das so? Und was bringen uns nun diese Erkenntnisse? Was haben die Kunden davon? Die Konsumenten? Und die Werbetreibenden auf Unternehmensseite und die in den Agenturen?
Am besten versteht man das vielleicht, wenn man Neuromarketing im größeren Zusammenhang sieht. Wie denken wir? Wie nehmen wir unsere Umwelt wahr? Es wäre ein wenig (aber nur ein wenig) vermessen, das in einem Blogartikel alles zu umreißen.
Aber so viel mag vielleicht angedeutet werden: Wir nehmen so gut wie nichts wahr von dem, was in unserem Umfeld geschieht – wie Thomas Metzinger in seinem erhellenden Werk über die Leib-Seele-Thematik „Der Ego-Tunnel” luzide dargelegt hat – für das, was wir für die Realität halten, für unsere Traumerlebnisse und für unsere zunehmend digitalisierte, virtuelle Welt, die unsere herkömmliche Vorstellung von Bewusstsein über den unmittelbar sinnlich erfahrbaren Raum hinaus revolutioniert.
Aber das, was wir wahrnehmen, nehmen wir umso besser wahr, je häufiger wir es wahrnehmen. Wir behalten diese Erlebnisse in positiver Erinnerung, wenn wir sie mit guten Ereignissen (z. B. Weihnachten mit leckeren Plätzchen von Mama) verknüpfen, und in schlechter, wenn wir sie immer wieder mit negativen Eindrücken assoziieren (z. B. Weihnachten mit der gar nicht mal so einträchtig feiernden buckligen Verwandtschaft).
Das eine wie das andere sind immer wiederkehrende Ereignisse, denen wir entweder mit großer Freude oder mit stillem Grauen entgegensehen. Alle Ereignisse wirken über Augen, Ohren, Nase, Mund und Berührung und lösen im Gehirn des Kunden, nein, im Gehirn jedes Menschen ein Feuerwerk an den Synapsen von Millionen Neuronen aus.
Priming nennt man das in der Psychologie. Bilder, Worte, Gerüche u. Ä. sind bahnende – primende – Reize. Der Neurophysiologe Gerhard Roth hat in „Aus Sicht des Gehirns“ sehr klar dargestellt, wie sich auf Basis dieses Synapsenfeuerwerks die Datenautobahnen in unseren Köpfen bilden.
Entscheidend dabei ist: Alles, was wir erfahren, erleben, wahrnehmen, reizt entweder unser limbisches System, unser Lustzentrum, oder die Amygdala, unser Angstzentrum.
Entweder es zieht uns etwas an oder es stößt uns etwas ab. Mal wollen wir hin, mal wollen wir weg. Einerseits müssen wir es haben, andererseits stößt es uns ab. Mal ist die eine oder andere Regung sehr stark (dann kaufen wir ihn eben, den Porsche), mal ist sie sehr schwach (dann sind uns Sportwagen völlig Wurst).
Demnach hinterlässt alles, was uns begegnet, was wir erfahren und wahrnehmen, eine und sei es auch eine noch so schwache neuronale Spur, einen somatischen Zustand.
Der portugiesische Neurowissenschaftler Antonio Damasio nennt diesen somatischen Zustand Emotion und unterscheidet diese Emotion von der bewussten Empfindung, die wir von unseren Emotionen haben. Emotion und Empfindung sind gewissermaßen zwei Seiten einer Medaille, die auf der einen Seite ein körperlicher Zustand ist, den unser Bewusstsein auf der anderen Seite als Empfindung wahrnimmt.
Der eine ist im EEG messbar, im MRT visualisierbar, der andere ist in eigenen Worten beschreibbar. Beide Darstellungen – in messbaren Verfahren und in Worten – können viel bis gar nichts gemein haben und rekurrieren doch beide auf dasselbe Phänomen.
Oder anders: Was macht das Neuromarketing daraus? In etwa dies: Alle unsere Erfahrungen lösen Emotionen aus, die wir als Empfindungen wahrnehmen, entweder eher positiv oder negativ, je nachdem, ob diese Erfahrungen unser limbisches System ansprechen oder unsere Amygdala reizen.
Die Summe gleichartiger Erfahrungen bestimmen unsere Emotionen, definieren unsere Handlungsoptionen. Relativ simpel lassen sich bestimmte Handlungen im Sinne einer Kaufentscheidung durch einen A B Test herbeiführen, der im konkreten Vergleich zeigt, auf welche Buttons und Kaufanreize Kunden und Konsumenten auf Websites, in Onlineshops oder sonstigen Portalen besonders ansprechen.
Die Consumer Neuroscience ist hier schon recht weit und zeigt, was alles im Neuromarketing geht. Martin Lindstrom hat mit „Buyologie” bereits 2009 einen Bestseller vorgelegt, der diesen unbewusst wirkenden Stimuli bis in ihre feinsten Verästelungen folgt.
Der mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnete Verhaltensökonom Richard Thaler skizziert mit seinem Co-Autor Cass Sunstein in „Nudge” ein ökonomisches Modell, das auf unbewussten Anreizen basiert, die emotional auf die jeweiligen Zielgruppen wirken, dabei aber durchaus rationalen ökonomischen Zielen dienen. Neuromarketing spielt hier nur allenfalls am Rande eine Rolle, doch die Ergebnisse sind für beide Forschungsbereiche interessant.
Entscheidend bei all diesen Modellen scheint zu sein, dass im Handlungskreislauf des Menschen von Reiz und neuronaler Verarbeitung, gesteuert durch limbisches System/Amygdala, unsere Entscheidungen bereits gefallen zu sein scheinen, bevor wir uns dessen „bewusst” werden.
Die bewusste Realisierung, dass wir gerade im Begriff sind, „etwas” zu tun, erfolgt einige Millisekunden später – mithin auch die Rationalisierung.
Kommen also gute Gründe, den Porsche, die Coca-Cola oder nicht doch lieber den Kleinwagen zu kaufen und das Leitungswasser zu trinken, immer erst danach zur Geltung? Siegt immer der Bauch? Und nie das Hirn? „Es musste diese Gucci-Tasche sein, worin sonst soll ich meine Tempotaschentücher transportieren, wenn mir abends im Kino bei Titanic die Tränen kommen?”
Vermutlich ist es so. Wir alle kennen vermutlich den einen oder anderen Kaufrausch („Ich kauf mir jetzt für 100 Euro Schokolade!”), den wir danach bedauern. Es ist ein bisschen wie beim Sex bzw. danach (omne animal post coitum triste).
Nach Peter Kenning, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und einem führenden Fachmann für Consumer Neuroscience und Neuromarketing – mit dem wir seinerzeit an der Zeppelin Universität Friedrichshafen eng zusammengearbeitet haben –, entlasten Marken physiologisch messbar die Entscheidungsprozesse der Kunden.
Marken sind dabei – ebenfalls messbar – mit Emotionen verbunden und markenbildende Werbung wirkt wie eine Belohnung. Sprich: Kunden und Konsumenten, die Marken kaufen, fühlen sich wohl, sie glauben, sich etwas Gutes zu tun. Der Preis hingegen hat eine ambivalente Wirkung, insofern er einerseits abschreckend, bestrafend wirkt (Marken sind teuer), andererseits belohnend wirkt (weil „ich es mir wert bin”).
Diese Erkenntnisse sind bereits aus dem Jahre 2010 und finden sich in „Fünf Jahre neuroökonomische Forschung – Eine Zwischenbilanz und ein Ausblick” in „Wie Marken wirken. Impulse aus der Neuroökononmie für die Markenführung”, herausgegeben von Manfred Bruhn und Richard Köhler.
Dass im Marketing Methoden wie die dort skizzierten nach wie vor aktuell sind, belegen Dirk Held und Christian Scheier mit ihrer Studie „Wie Werbung wirkt” von 2018, die akribisch aufzeigt, dass die bisherige Marktforschung an ihre methodologischen Grenzen gestoßen ist. Ihrem Werk sind auch die Beispiele mit dem Porsche und der Coca-Cola geschuldet. Herzlichen Dank dafür.
Und jetzt? Schmeißen wir nun unsere Rationalität weg? Ist unsere Vernunft, unser Verstand eine überflüssige Fehlentwicklung? Setzen wir nur noch auf Neuromarketing, Neuromarketing und nochmals Neuromarketing?
Wohl kaum. Neuromarketing – soviel lässt sich sagen – ist ein überaus spannendes Forschungsgebiet, das sich nur die wenigsten leisten können, deren Erkenntnisse aber alle Unternehmen, Kunden und Konsumenten nutzen können.
Wir gewinnen Einsichten darüber, dass Werbung tatsächlich wirkt – und wir können über Neuromarketing zunehmend besser einschätzen, wie Werbung die Konsumenten noch effizienter und gezielter erreicht.
Für uns selbst bestehen ganz konkrete Erkenntnisse darin, dass wir die Kunden unserer Kunden nur dann erreichen, wenn wir ihnen eine gute Story erzählen. Nein, nicht die vom Pferd, sondern die Geschichte, die tatsächlich von Reiz für die Zielgruppe ist, die Emotionen auslöst und im Kopf bleibt.
Etwas Positives verbindet jeder mit dem, was nützlich ist. Der Nutzen ist es, den wir wann immer möglich kommunizieren. Die Eigenschaften, die technischen Daten, liefern wir im Nachgang als Rationalisierung.
Gibt es weitere Erkenntnisse? Diese vielleicht: Wir werden nicht müde, sie immer wieder zu wiederholen: Die Kaufentscheidungen im B2B sind dieselben wie im B2C, auch wenn es immer noch viele gibt, die beteuern, im B2B würden sachliche Verkaufsargumente gelten, emotionale Werbung hingegen sei etwas für B2C.
Deshalb sprechen wir immer von B2P – Brand to People. Denn soviel sollte deutlich geworden sein: Auf die Emotionen kommt es an. Übrigens nicht nur im Neuromarketing.
Wir begeistern Menschen für Marken.
Mit nachweislichen Erfolgen.